Mittwoch, 12. Dezember 2012

Der Lesesaal der Staatsbibliothek, ein Fieberparadies

Der alte Lesesaal
(1914-1944)
Der Kuppellesesaal der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin war ein magischer Ort zwischen den Weltkriegen. „Brennpunkt der Ellipse, die mich hier bannt“, schrieb 1928 Walter Benjamin, einer der Stammkunden, der die Bibliothekare mit ellenlangen Listen fehlender Bücher auf Trab brachte. „Staatsbibliothek, Kaschemme / Resultatverließ, / Satzbordell, Maremme,/ Fieberparadies“, delirierte Gottfried Benn in einem Gedicht und rühmte das „wunderbare Flackern von einem Buch zum andern“.
Das Pantheon der Leser besaß eine größere Kuppel als der Berliner Dom, darunter waren die Leseplätze in Kreisen um eine leere Mitte angeordnet, jeder durch eine Glasschirmlampe bezeichnet. Denn durch die Rosettenfenster strömte nur dämmriges Licht ins Herzstück des neobarocken Bücherpalastes, mit dem Hofbaumeister Ernst von Ihne in zehnjähriger Bauzeit ein ganzes Straßenkarree an der preußischen Siegesallee füllte. 170 Meter lang, 107 Meter breit: Als der alte Lesesaal in Anwesenheit des Kaisers am 22. März 1914 eingeweiht wurde, war das Berliner Bibliotheksgebäude das größte der Welt. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Lesesaal durch eine Fliegerbombe zerstört, wie es dort heute aussieht, lesen und sehen Sie hier.

1 Kommentar:

  1. Ich, aber auch alle mit denen ich gesprochen habe, bedauern es sehr, dass der beschädigte Lesesaal in den 70ern abgerissen wurde. Denn er war 1945 keinesfalls zerstört. Lediglich die Kuppel und der Boden waren beschädigt. Die prachtvollen Wände waren fast ohne Beschädigung. Es wäre ein leichtes gewesen, die Kuppel durch eine neue mit Oberlichtern, oder durch eine Glaskuppel zu ersetzen. Dann wären auch die Lichtverhältnisse optimal gewesen.
    Was ich nicht verstehen kann ist, warum der alte Saal jetzt nicht rekonstruiert wurde. Es hätte ja nicht alles rekonstruiert werden müssen. Eine moderne Glaskuppel auf den prachtvollen Arkaden-Wänden wäre auch eine gute Lösung gewesen.

    Der jetzige Lesesaal ist jedenfalls architektonisch kalt wie eine Turnhalle und passt gar nicht zum Gebäude. Aber das ist ja eigentlich typisch Deutsch! Überall muss eine moderne Note aufgedrückt werden. Auch das Stadtschloss, was jetzt als Supermuseum rekonstruiert wird, muss natürlich eine Ostfassade bekommen, die wie ein Vorortparkhaus wirkt.

    In romantischen Altstädten, die den Krieg einigermaßen überstanden haben, darf ein überdimensionierter Glaskubus, oder ein Betonmonstrum nicht fehlen, weil es ja sonst keinen Dialog zwischen alter und moderner Architektur geben kann. Das war wohl auch der Grund, warum der alte Lesesaal nicht rekonstruiert wurde.

    Es musste krampfhaft ein Spannungsfeld erzeugt werden. Beim Betreten des Lesesaales darf es keine Ausrufe geben, wie:" Donnerwetter, schau dir den Saal an, der ist ja prächtig, das muss ich fotografieren, die Kuppel ist ja größer als die des Domes..." sondern solche:" Ach, das sieht aber schlicht aus. Das hätte ich nicht erwartet. Hatte das Gebäude früher etwa keinen Lesesaal?.."

    Schon sehr seltsam, dass in allen andern Ländern beschädigte Gebäude (z.B. durch einen Großbrand), wenn sie architektonisch interessant waren immer vollständig rekonstruiert werden. Ganz ohne moderne Zutat. Aber die Kraft oder den Mut hat man in Deutschland bis heute nicht.

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